Dienstag, 13. April 2010

Push button for poetry

Es gab eine Zeit, in der waren Videospiele unschuldig. Klischees durften noch Klischees sein, ohne dass sich Spieler darüber lustig machten, Levels durften "Downtown" heißen, obwohl die optische Ähnlichkeit mit einem echten Stadtbezirk eher abstrakt war und es gab Spiele mit einem Extra-Kopf für Poesie.





Klischees und schlechte Stories gibt's auch heute noch, nur sind die Ansprüche an ein Spiel immens gestiegen. Niemand hat von einem Doom ernsthaft inhaltliche Relevanz erwartet und der Duke durfte Schweine in Polizeiuniform niedermähen, ohne dass jemand die political correctness infrage gestellt hätte. Ein Level in Carmageddon 2 war letztlich nur eine Ansammlung von Gebäuden auf einer überschaubaren Fläche und das darin enthaltene Einkaufszentrum war eigentlich nur ein weiteres Gebäude mit mehr Glasflächen und Passanten. Aber das war okay, schließlich wusste man um die Grenzen des technisch machbaren und eigentlich war's auch furzegal, solange es einen Mordspaß machte, mit seinem PS-strotzenden Vehikel volle Möhre in dieses Einkauszentrum zu rasen und optisch absurd dargebracht kreischende Fußgänger in den Tod zu reißen. Fürchteten die Eltern damals noch um den Untergang des Abendlandes, mag man sich deren Reaktionen heute gar nicht vorstellen, wenn man ihnen die Lancer-Gun aus Gears mal im Detail präsentiert.

Aber es gibt und gab Ausnahmen. Ein Shadow of the Colossus dürfte gar des Anspruches zuviel sein und würde vermutlich vom Durchschnittsbürger gar nicht umrissen werden. Ein Spiel, gleichbedeutend mit dem Kunstkino, das vom Otto-Normal-Verbraucher bestenfalls zur Kenntnis genommen wird.

Und auch mein wohl prominentestes Lieblingsspiel aller Lieblingsspiele Interstate '76 offenbart auf den zweiten Blick inhaltliche Tiefen, die es zu weit mehr machen als einem Spiel, in dem man mit bewaffneten Muscle-Cars durch Wüstenlandschaften heizt, um böse Jungs in deren Karren in die Luft zu jagen. Es ist ein Spiel, das nicht nur stilistisch einen einzigartigen Weg geht und ganz bewusst auf allzu detaillierte Grafiken verzichtet, sondern eines, dem man noch anmerkt, dass hier Menschen am Werk waren, die nicht einzig und allein Absatzzahlen im Kopf hatten. Es war ein Spiel, in dem es auf der Tastatur wirklich und wahrhaftig eine für Poesie reservierte Taste gab. Wurde die gedrückt, fragte Hauptdarsteller Groove Champion seinen Kumpel Taurus im anderen Wagen nach einem Gedicht, das dieser sogleich darbrachte. Einerseits ein atmosphärischer Glanzpunkt, wenn man in seinem Ami-Schlitten eine einsame Wüstenstraße entlang cruiste, andererseits ein heutzutage undenkbarer Inhalt. Satte 15 Gedichte konnten auf diese Weise abgerufen werden und auch wenn die Action im Spiel sehr schnell wieder dominierte, es war ein Bestandteil der Genialität des Titels. Das Optionsmenü in Form einer Speisekarte, der funky Soundtrack und die einzigartig präsentierten Zwischensequenzen waren die vorrangigen Merkmale, doch wer den Poetry-Knopf einmal gedrückt hatte, für den war Interstate '76 ab diesem Zeitpunkt mehr als tolle Designkunst.

Ein Modern Warfare 2 würde von spontanen Dichtkunst-Exkursionen schwerlich profitieren und das ist auch gar nicht nötig. Schließlich erwarte ich ja beim Schauen von Transporter 2 oder Welcome to the Jungle auch keine stilbrechenden inhaltlichen Quantensprünge. Aber es fällt auf, dass die große Mehrzahl der erfolgreichen Spiele der letzten Jahre die gesicherten Blockbuster-Bahnen auch auf keinen Fall verlassen möchte. Und obgleich ein Uncharted 2 durchaus peppige Dialoge zu bieten hat, es bleibt Popcorn-Unterhaltung ohne viel Tiefgang oder ein eigenes Gesicht. Vieles ist austauschbar und das meiste hat man irgendwo anders schon mal gesehen. Daran ist nichts falsch und ich liebe Popcorn-Unterhaltung, aber dann und wann bin ich für geistig anregende Unterhaltung ehrlich dankbar und hier hat das Medium Videospiele gegenüber den Konkurrenten Literatur und Film noch unfassbare Mengen an Boden gut zu machen.


Interstate '76 erschien erstmals 1998 ist mittlerweile auf der Website gog.com zum Download erhältlich und mit viel Mühe und Gefrickel auch auf einem Windows 7-Rechner zum laufen zu bekommen. Lead Designer Zachary Norman schraubt mittlerweile an Motorrädern herum, Game Director Sean Vesce ist General Manager von Crystal Dynamics. Die Filmrechte wurden 1998 von 20th Century Fox gekauft, aber niemals umgesetzt. Sprecher des Bösewichts Antonio Malochio war John DeLancie, besser bekannt als Q aus Star Trek TNG. Er hält sich mit Nebenrollen in TV-Serien über Wasser.

Die wohl umfangreichste Website zum Thema Interstate '76 ist definitiv Localditch.
Sämtliche Gedichte (auch in hörbarer Form) gibt's hier.

Ich habe Interstate '76 geschätzte 15 Mal durchgespielt und krame es in schöner Regelmäßigkeit heraus, um es ein weiteres Mal durchzuspielen. Dann drücke ich auch schon mal gerne C:

It's a high pitched sound
Hot rubber eternally pressing against a blackened pavement
A wheel is forever
A car is infinity times four

1 Kommentar:

  1. Cooles Spiel, ich spiels immer und immer wieder. Bin grad auf der Suche nach Taurus Gedichten auf Deutsch. Gibt es die auf irgendeiner Seite in Form von Text. :P ? Hab sie bisher "nur" auf Englisch gefundne!

    Viele Grüße

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